Die weltweite Spieleindustrie ist ein Milliardengeschäft, das von wenigen global agierenden Unternehmen beherrscht wird und unabhängigen Spieleentwicklern kaum eine Chance auf Marktzugang lässt. Die ganze Spieleindustrie? Nein (so scheint es), denn seit einigen Wochen wird das Machtmonopol risiko- und innovationsscheuer Publisher durch ein neues Finanzierungsmodell herausgefordert: die Vorfinanzierung kleiner und mittlerer Spieleproduktionen per Crowdfunding.

Wertschöpfungskette Games
Abb. 1: Traditionelle Wertschöpfungskette digitaler Spiele (Quelle: Deloitte Research)

Tim Schafer und das Entwicklerstudio Double Fine haben es vorgemacht: Über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter haben sie im März um $ 400.000 ‚Spenden‘ gebeten, um ein klassisches Point-and-Click-Adventure zu produzieren – ein Genre, das in den Augen der meisten Publisher als ‚tot‘ gelten dürfte. Das Projekt wurde ein spektakulärer Erfolg: Binnen eines Monats wurden satte 3,3 Mio. US-Dollar eingeworben, was vor allem mit der geschickten Vergabe von Belohnungen zusammenhing: Wer $15 spendete, erhält das digitale Spiel nach seiner Fertigstellung, eine exklusive Dokumentation des Entwicklungsprozesses sowie Mitspracherecht bei kleinen und großen Design-Entscheidungen. Das „Double Fine Adventure“ wurde so nicht nur zum erfolgreichsten Projekt der 2008 gegründeten Crowdfunding-Plattform, sondern war gleichzeitig eine Kampfansage an die Publisher – scharfzüngig und provokant vorgetragen in zahlreichen Videobotschaften.

Seitdem sprießen täglich neue Kickstarter-Games-Projekt aus dem Boden: Ob Brian Fargo mit „Wasteland 2“ (2,9 Mio. US-Dollar), Jordan Weisman mit “Shadowrun Returns” (1,6 Mio. US-Doller) oder Al Lowe mit „Leisure Suit Larry“ (500.000 US-Dollar, Stand: 26.4.2012) – das Fan-finanzierte Realisieren von Videospielen scheint mehr als nur ein flüchtiger Hype zu sein. Das Geschäftsmodell scheint ein Traum für Entwickler wie Fans zu sein: Erstere haben absolute Planungssicherheit, da das Geld der Spieler_innen bereits vor Produktionsbeginn auf ihrem Konto landet, letztere bekommen nicht nur ihre „Traumspiele“ zu einem relativ günstigen Preis, sondern werden zusätzlich an deren Entstehungsprozess aktiv beteiligt. Die Wertschöpfungskette der Spiele wird radikal verkürzt.

Abb. 2: Wertschöpfungskette der Kickstarter-Spiele (Quelle: Eigene Darstellung)

Ist dies also der Anfang vom Ende der Publisher und die ultimative Ermächtigung kleinerer Entwicklerstudios? Sicherlich nicht. Denn schaut man sich die derzeit so erfolgreichen Kickstarter-Projekte genauer an, so sind es keinesfalls die innovativsten und Mainstream-fernsten Spiele, die die meiste Förderung erfahren. Im Gegenteil: Gerade Neuauflagen von ‚Klassikern‘, entwickelt von Veteranen des Game Design und reichweitenstark in der Community und Presse verbreitet, erlangen die notwendige Aufmerksamkeit. Andere Projekte, die tatsächlich mit innovativen Spielprinzipien aufwarten, haben dagegen eher geringe Chancen (wie etwas das iOS Spiel „Republique“). Auch wird häufig unterschätzt, welche Kosten mit einer Kickstarter-Kampagne verbunden sind, da ein nicht unwesentlicher Teil der eingeworbenen Gelder an die Plattform selbst sowie ihren Partner-Bezahldienst Amazon Payments fließt. Und natürlich ist auch eine Menge Glück dabei: Spricht sich das Projekt herum? Kommen die Video-Botschaften an? Sind Fans wirklich bereit, $10 mehr für ein bedrucktes T-Shirt als zusätzliche Belohnung zu zahlen?

Bei allem Säbelrasseln und aller Euphorie, die die Crowdfunding-Projekt derzeit begleiten, ist noch ziemlich unklar, welche Konsequenzen dieses neue Finanzierungsmodell für die Spielindustrie allgemein haben wird. Genau wie bei anderen Social-Web-Phänomenen werden auch hier nur einige wenige Akteure die notwendige Aufmerksamkeit generieren können, um erfolgreich zu sein – ein Umstand, der nur wieder etablierte und ‚machtvolle‘ Akteure (wie etwa Game Design-Veteranen) bevorzugt. Spannend dürfte es dann werden, wenn auch die großen Publisher das Modell adaptieren: Dann zahlen Spieler_innen schon vor Produktionsbeginn den Preis des Spiels, werden dafür an mehr oder weniger unwichtigen Designentscheidungen beteiligt und bekommen schließlich nach zwei Jahren Entwicklungszeit ihr bedrucktes T-Shirt – das ihnen dann vermutlich zu klein geworden ist. Es bleibt also spannend…

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